„Schöpfung aus dem Nichts“

„Schöpfung aus dem Nichts“

"Im Anfang schuf Gott den Himmel und die Erde. Die Erde war Tohu wa-bohu, und Finsternis lag über der Urflut, und der Geist Gottes schwebte über den Wassern. Da sprach Gott: Es werde Licht! Und es ward Licht " 

(Genesis 1,1-3)

 

Was willst du ein mal werden?“ – Als wir Kinder waren, haben wir diese Frage oft gehört. Ab einem gewissen Alter dringt diese Frage jedoch immer seltener an uns heran; Schließlich sind wir „erwachsen“ geworden, d.h. wörtlich: „Wir haben aufgehört, zu wachsen“. – Woher kommt das tiefe menschliche Bedürfnis in uns nach mehr Spielraum, nach mehr Leben, nach mehr Möglichkeiten? Wie stellen wir es praktisch an, uns von der „Schlacke“ unserer bisherigen Entwicklung tatsächlich zu befreien und wieder anzuknüpfen an den lebendigen Unternehmergeist unserer Biographie, an den „Anfängergeist“?

 

Das Wort „Biographie“ setzt sich zusammen aus dem griechischen „bios“, Leben und „graphein“, Schreiben oder Zeichnen. Unsere bisherige Biographie ist in unseren Leib „hinein gezeichnet“, wir tragen sie immer mit uns, egal wohin wir gehen. – Und: Wir selbst sind es, die ihr Schicksal in das Leben der Welt „hinein schreiben“. Jedes Haustier hat einen Lebenslauf; Zu einer echten Biographie ist allein der Mensch fähig. – Wie kann dieses „Unternehmen Biografie“ gelingen?

 

Wir werden in diesen Blogposts die 7 „Ich-Bin-Worte“ des Johannes-Evangeliums im Zusammenhang mit der psychosozialen Entwicklung des Menschen nach Erikson betrachten. Dabei werden wir uns orientieren an 7 leiblich verortbaren „energetischen Wirbel-Kraftfeldern“. – Was aber ist ein Wirbel und was ist ein Kraftfeld? – In der orientalischen Literatur findet man Hinweise auf sogenannte „Räder“ oder „Chakren“. Es ist nicht ganz einfach, diese Konzepte in unseren kulturellen Kontext zu übertragen. Kraftfelder – und das gilt für jedwede Art von Kraftfeldern, einschließlich elektrischer und magnetischer Felder – können niemals direkt wahrgenommen oder gemessen werden.


Was wir wahrnehmen und messen können, das ist die Wirkung eines Kraftfeldes, wenn es in Resonanz mit einem bestimmten Stoff, beispielsweise Eisenspähne, tritt. Wir können von den hier thematisierten „Energie-Wirbel-Kraftfeldern“ also niemals im gleichen Sinne als „existierend“ sprechen, wie wir von materiellen Gegenständen sprechen. Etwas, das existiert, muss einen genau bestimmbaren Ort im Raum und in der Zeit haben. Kraftfelder werden jedoch niemals explizit, das heißt, sie „existieren“ nicht in einem äußerlichen Sinne, sondern sie bleiben immer „implizit“ (Bohm), verborgen. Das bedeutet, ganz praktisch gesprochen: Diese Kraftfelder „gibt es“ im Sinne Heideggers, nur dann, wenn wir sie üben.


Im Alltag handeln wir so, als ob es eine physikalische, „objektive Zeit“ gäbe. Diese naiv vorgestellte Zeit hat ein mal mit dem Urknall angefangen und sie setzt sich linear fort bis das Universum eines Tages wieder zerfallen sein wird. Diese Zeitvorstellung kann nützlich sein, wenn wir eine Verabredung einhalten wollen. Wenn wir über den Alltagsmensch hinausgehen und am „Menschenwesen-Selbt“ teilhaben wollen, müssen wir unsere Idee von Zeit wesentlich erweitern:


Auf der einen Seite stehen wir in einem Zeitstrom, der aus der Vergangenheit in die Zukunft fließt; Unsere persönliche Vergangenheit ist jetzt Gegenwart in Form von Erinnerung und Gewohnheit. Unser „Werdewollen“ ist in diesem Zeitstrom, nicht enthalten. – Was wir in dem „Gewordenen“ finden können, sind nur die „Abdrücke“, die das einstigeWerdewollen“ dort hinterlassen hat.


Im Alltag denken wir, dass das Vergangene das Zukünftige „verursacht“. Als wäre die Zukunft eine Prolongation“ der Vergangenheit in die Zukunft. Für das Mechanische, für die „triviale Maschine“ (Förster) ist das auch der Fall, für das Lebendige nicht. – Nachträglich kann das Reptil mit dem Amphibium in einen Entwicklungs-Zusammenhang gebracht werden. Aus dem Amphibium selbst kann jedoch niemals das später daraus hervor gegangene Reptil vorhergesehen werden, wie Rudolf Steiner bereits 1894 in seiner „Philosophie der Freiheit“ zeigt.


Wenn wir mit dem Gegenwärtigen, Lebendigen, Schaffenden selbst in Berührung kommen wollen, das uns, in jedem Augenblick neu, aus den lebendigen Kräften der Zukunft, der noch offenen, unbestimmten Möglichkeit, des Seins heraus bildet und führen kann, müssen wir unseren Blick erweitern. Wir müssen das Bewusstsein unserer rechten Hemisphäre mit dazu nehmen, in welchem die verborgenen Kräfte schlummern, die wir für unsere individuelle Evolution brauchen, wir müssen unseren „Montagepunkt“ (Castaneda) verschieben:

 

Jeder Wirbel ist ein Doppelwirbel. Wenn wir ein Glas Wasser nehmen und darin rühren, dann entstehen sofort zwei Strömungen. Gewöhnlicherweise beachten wir nur die auffälligere der beiden Flussrichtungen. Die erste Strömung leitet das Wasser von Oben nach Unten und von Außen nach Innen. Das ist der „irdische“ Aspekt des


Wirbels, die Zentrifugal- oder Schwerkraft. Die zweite Flussrichtung nimmt das Wasser wieder mit von Unten nach Oben, von Innen nach Außen in Richtung der „unendlich weit entfernten Ebene“, der „kosmischen Peripherie“, die Zentripetal-oder Fliegkraft.


Wenn wir uns – im „Eigendünkel“ – mit uns selbst beschäftigen, dann blicken wir gewöhnlich auf das „Stüpfchen“ statt auf den Kreis (Silesius), auf das „Gewordene“. Wenn wir dagegen unser Potenzial in den Blick bekommen wollen, dann müssen wir uns dem „Kreis“, der „Allfläche“, dem „Gegen- oder Sonnenraum“ (Steiner) zuwenden, welcher die Schwerkraft aufhebt und das Gewordene wieder auflöst.


Insofern wir in der Zeit leben, stehen wir immer im Spannungsfeld dieser beiden gleichzeitig vorhandenen Kräfteströme: Inkarnation und Exkarnation, Gewordenes und Werdemöglichkeit. „Verfestigen“ und „Auflösen“, „Fallen“ und „Schweben“ überschneiden sich in jedem Moment unseres Daseins. 

 

Wenn wir die natürliche Evolution, die uns „bis hier hin und nicht weiter“ gebracht hat, auf einer „höheren Stufe“ fortsetzen wollen, können wir uns von der Natur selbst dazu inspirieren lassen. Das Leben ist unglaublich produktiv und probiert Verschiedenstes aus. Was sich bewährt, wird beibehalten. Was „noch nicht“ oder „nicht mehr“ dran ist, verschwindet wieder; Die Natur spielt. Dieses schöpferische Spiel, dieser „Spieltrieb“ (Schiller) der Natur, dieses konstante Erproben von Möglichkeiten zeigt sich im Spiel des Kindes ebenso wie in den mannigfaltigen Erscheinungsformen, welche die natürliche Evolution bis heute hervorgebracht hat.

 

Auch in der Gestalt des Menschen zeigen sich die beiden „Zeitströme“, der irdische ebenso wie der kosmische Aspekt des Wirbels. Da ist einerseits das „Achsen-Skelett“, welches Schädel, Rippen, Wirbelsäule, Brust- und Kreuzbein umfasst. Da ist andererseits das periphere oder „Appendikular-Skelett, bestehend aus Gliedmaßen, Becken- und Schultergürtel. 

 

Durch das Achsenskelett – besonders die „Schädelhöhle“ – sind wir mit unserer biologischen Vergangenheit verbunden. Im peripheren Skelett – In den arbeitenden Muskeln – bereiten wir die Zukunft des Menschen vor. Der gegenwärtige Mensch stellt ebenso einen „missing link“ dar, wie der Archeopteryx, welcher den Entwicklungsschritt von den Reptilien zu den Vögeln markiert: „Der Übergang vom Affen zum Menschen sind wir“ (Lorenz).


Das Neue, die zukünftige Evolution deutet sich im Skelett des „early birds“ bereits an: Sein Achsenskelett ist das eines am Boden kriechenden Reptils. In den Gliedmassen, in der Peripherie ist er bereits ein frei fliegender Vogel. – Die Zukunft kommt aus dem „Umkreis“, dort, wo wir schaffend eins sind mit der Welt, nicht im Kopf sondern im Willen.


Wenn wir etwas zu „wissen“ meinen, stehen wir der Welt als Ego gesondert gegenüber. Wenn wir schaffend tätig sind und eintauchen, wenn wir selbstvergessen hingegeben sind und dabei nichts von uns selbst wissen, dann bringen wir „aus dem Nichts“ das Neue hervor. – Welches sich dann, wenn es ein mal da ist, nachträglich mit dem bereits Vorhandenen verbindet:

 

Das Leben muss rückwärts verstanden, aber vorwärts gelebt werden“.

(Kierkegaard)


Es geht bei der „übernatürlichen Evolution“ (Dispenza) nicht darum, mehr oder weniger mühselig, mehr oder minder erfolgreich „ein Anderer zu werden“. Es geht darum – Aristoteles spricht in der Nikomachischen Ethik sogar von der ethischen Verpflichtung – „ein Anderer zu Sein“.


Es geht nicht darum, den, der wir geworden sind, zu „optimieren“ oder zu „verbessern“. Es geht darum, aus einem aktuellen Zugang zur Gegenwart des Geistes ein – stets zeitlich begrenztes – Spiel zu erproben, die „Welt anzuhalten“, ein Experiment zu wagen, „die Risse in der Wirklichkeit“ zu finden und vorübergehend in eine „andere Wirklichkeit“ zu springen.


Wenn wir die Gewohnheit, die wir im Alltag „Ich“ nennen, nicht wertschätzen und – womöglich gewaltsam – zu verändern versuchen, „schlägt das Imperium zurück“. Unser Überlebenssystem hat dafür gesorgt, dass wir noch hier sind. Dafür können wir ihm dankbar sein. Wachsende Spielfreude kann sich nur dann entfalten, wenn wir das „Gewordene“ wertschätzen und darauf aufbauend – in vielen kleinen Schritten – immer wieder ein neues Verhalten, mit unserem peripheren System, also handelnd, erproben.

 

Wenn wir „über uns hinaus“ (griechisch: „epektasis“) gehen wollen, dann müssen wir es tatsächlich tun, mit unseren Muskeln. Wir tun gut daran, dabei rhytmisch, also kontinuierlich und – besonders in den Pausen – auf den Gesamtzusammenhang wachsam lauschend vorzugehen. Anhand einer scheinbar einfachen Übung – der „Atempause – können wir sehr viel Prinzipielles über Training lernen. Wir können lernen, dass es zwei Schwellen gibt.


Die erste Schwelle ist die Trainingsschwelle. Wenn wir unterhalb der Trainingsschwelle bleiben – weil wir entweder gar nicht oder nur scheinbar üben – dann passiert einfach gar nichts. Wenn wir jedoch zu heftig, zu lang, zu angestrengt oder zu häufig üben, dann überschreiten wir nicht nur die erste Schwelle des Trainings sondern zugleich auch die zweite Schwelle der Überlastung. Es ist von zentraler Bedeutung, den Unterschied dieser beiden Schwellen genau zu verstehen und in der Praxis zu beachten.


Wenn wir uns auf eine schädliche Weise überlasten, werden wir – und das ist auch gut so – wieder mit dem Üben aufhören. – Direkt nebem dem Atemzentrum, im verlängerten Rückenmark, entspringt der zehnte Hirnnerv, der Vagusnerv. Während der ventrale Vagus dafür verantwortlich ist, dass wir uns in gesunder Weise entspannen und erholen, sorgt der dorsale Vagusnerv dafür, dass wir in Überlastungssituationen erstarren und, unter Anderem, unser Immunsystem vorübergehend außer Kraft gesetzt wird.


Diese auf Dauer äußerst schädliche Überlebensreaktion, die wir von den Steinzeitmenschen geerbt haben, müssen wir mit allen Mitteln vermeiden. Wir können das aller erste „Anspringen“ unserer Überlebensmuster daher wie eine „adaptive Hysterese“ verstehen, vergleichbar mit dem Spoiler eines Sportwagens: Es verbessert die Bodenhaftung.

 

Entfernen wir uns zu weit vom Gewohnten schlägt das alte System – die Komfortzone des uns vertrauten Ichs – zurück und „legt uns lahm“, bis wir uns wieder „mit uns selbst und der Welt auskennen“. – Wir üben also am besten im „Stealth Mode“: Zu Beginn ist die Zone, in welcher wir „über uns selbst hinaus gehen“ ohne uns dabei zu verletzen, relativ klein. Durch stetiges und sorgfältiges Üben wächst der Spielraum ebenso wie unsere dafür notwendigen Überschusskräfte. Um auf diesem zunächst sehr „schmalen Grad“ zu wandern, benötigen wir unseren „Sinn für Kohärenz“ (Antonovsky), unseren Lebenssinn.

 

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