„Ich bin das Licht der Welt“ - Herzkraftfeld, Bewusstsein und innere Stärke

„Ich bin das Licht der Welt“ - Herzkraftfeld, Bewusstsein und innere Stärke



Ich bin das Licht der Welt. Wer mir nachfolgt, der wird nicht wandeln in der Finsternis und er wird das Licht des Lebens haben.“

(Johannes 8,12)



 

Wenn wir unser „Herzkraftfeld“ leiblich erleben wollen, ist es hilfreich, lebendig nachzuvollziehen, wie sich das Herz embryologisch in uns gebildet hat. Durch das imaginative Nachbilden können wir das „Echo“ jenes Prozesses in uns heute finden. – Rudolf Steiner spricht davon, dass das „Kraftfeld des Herzens“ sich im Laufe der Entwicklungsgeschichte der Menschheit immer mehr vom physischen Organ des Herzens gelöst habe. Beginnend mit dem Jahr 1721 sei dieser Vorgang bis zum Ende des 21. Jahrhunderts für die gesamte Menschheit abgeschlossen: „Die Herzen beginnen, Gedanken zu haben“.


 

Wozu könnte ein vom physischen Organ frei gewordenes „Herzkraftfeld“ gut sein? Ein frei zur Verfügung stehendes „Herzkraftfeld“ könnte es uns unter Anderem ermöglichen, nicht nur unser Denken sondern auch unser Fühlen selbst zu bestimmen und dadurch „zu werden wie die Kinder“, statt „zu werden, wie die Eltern“. – Das potenziell freie Vorstellungsdenken beruhe, so Steiner, auf dem frei gewordenen Kraftfeld des Gehirns. Das „Gehirnkraftfeld“ habe das physische Gehirn gebildet und heile es oder bilde es um, wenn wir neue Fähigkeiten plastisch darin verankern.



Historisch habe sich das Kraftfeld des Gehirns zunächst im antiken Mesopotamien, darauf hin im antiken Griechenland und schließlich – vor rund eintausend Jahren – auch in Europa vom physischen Gehirn gelöst, wodurch das „alte Hellsehen“, das mhytische Bewusstsein oder das „Leben in der unmittelbaren Empfindung“ durch das helle, klare, logische Denken allmählich verdrängt worden sei. – Die Schattenseite des freigewordenen Denkens ist das dualistische Weltbild: Mit dem freien Gebrauch seines Verstandes ist der Mensch auch zu seinem „Ich“ erwacht, welches einer fremden „Umwelt“ getrennt gegenübersteht, mit allem, was daraus folgt.



Wenn wir dagegen mit dem Herz wahrnehmen und denken, können wir uns nicht als von der Welt getrennt empfinden. Die „Intelligenz des Herzens“ – ganz im Gegensatz zur bloßen Intellektualität des Gehirns oder der KI – besteht in einer komplexen Ausgleichsbewegung, stets in Verbindung mit dem Ganzen. Wir können uns die Tätigkeit des Herzens vorstellen wie den „Tanz der Sonne mit den Planeten“. Die Sonne steht niemals still. Je nachdem, wo die Planeten sich im Sonnensystem befinden, verändert die Sonne leicht ihre Position, als würde sie tänzeln, um ein bewegliches Schwerkraftzentrum herum. Im Flüssigen ist alles instantan miteinander verbunden.



Wie kann es gelingen, dieser immerwährenden, lebendigen Tätigkeit des Herzens gewahr zu werden? Wie kann eine „Belebung des Herkraftfeldes“ in der Praxis aussehen? Wir müssten uns vom Festen zum Flüssigen“, „vom Ding zur Beziehung, „vom bloßen Vorstellen zum lebendigem Denken“ erheben. – Wir verabschieden uns damit aus der vertrauten Welt des bereits „Gewordenen“, des „Wissbaren“, „Verfügbaren“, über das wir dann Macht ausüben können. Wir betreten eine Dimension, die uns zunächst mit Fallangst erfüllt, weil wir „keinen festen Boden mehr unter den Füssen“ haben und uns nicht mehr auskennen, genau wie an dem Tag, als wir zum ersten mal „das Licht der Welt“ erblickten.



Nichts ist gewonnen, wenn wir uns die „Entfaltung des Herzkraftfeldes“ vorstellen. Worauf es ankommt, das ist, dass wir die Bewegung mit unserem Leib erlebend mitvollziehen (Kinästhetische Imagination). Wenn wir uns die „Umstülpung des Herzens“ nur vorstellen, bleiben wir vereinzelte Wesen, umgeben von einer uns fremden Welt. Wenn die Übung wirklich gelingt, dann sind wir wieder verletzlich wie ein Säugling und zugleich tief berührt. Es gibt keine Trennung mehr zwischen mir und dem Anderen, zwischen Ich und Nicht-Ich“. Es gibt keine Schuld und keine Scham. Es gibt nichts zu korrigieren, nichts zu verbessern, nichts zu verändern. In diesem Moment der Gnade ist jeder Zweifel aus der Seele gewichen.



Wenn der Zweifel nah am Herzen wohnt wird die Seele sauer“.



(Parzival)



Unsere Seele ist jetzt nicht mehr „sauer“. Sie ist jetzt „mutig und unverzagt“. Wir wissen jetzt, dass wir mehr sind als dieser Körper und dieser Verstand. Wir ahnen sie wieder, wie ein unfassliches Wetterleuchten, diese „ureigene Melodie unseres Wesens“, das wir immer waren, lange bevor dieser Körper, mit seinem Verstand entstanden ist und das wir immer sein werden auch lange nachdem dieses vorrübergehende „Ich“ wieder zerfallen sein wird, wir sind „aufgehoben“.



Man kann den Eindruck haben, als würden wir als Neugeborene wieder in eine ähnliche Lage geraten wie die gerade befruchtete Eizelle. So wie sich der Embryoplast aus den ihn umgebenden, nährenden Hüllen sein Herz einverleibt, so verleibt sich der Säugling das ihn Nährende, die Milch aus seiner unmittelbaren Umgebung, seiner Mutter, ein. In dieser frühen Entwicklungsphase stehen wir, so Erikson, in dem Spannungsfeld von „Urvertrauen vs. Urmisstrauen“. Wir trainieren die „Propiozeption des Nehmens“. Wir lernen: Ich werde bekommen, was ich brauche“. Wir lernen: „Ich kann mich verlassen“.



Wir können uns darauf verlassen, dass alles gut geht, dass uns im richtigen Moment das Richtige zufallen wird. Wir wissen, tief in unserem Inneren, dass wir von der Welt getragen sind – wie ein Neugeborenes. – Wir müssen nicht alles alleine hinbekommen, denn, wie Rilke sagt: „Wo die Not wächst, da wächst das Rettende auch“. – Wenn wir das Urvertrauen des Säuglings verinnerlicht haben, dann stehen wir im Leben mit der Gelassenheit und Unerschütterlichkeit eines Siddharta: Ich kann denken, ich kann warten, ich kann fasten“ (Hesse).



Es wird eher den Normalfall darstellen, dass wir aus dieser Zeit „Entwicklungsschlacken“ mitgenommen haben. Auf der Ebene unseres Verstandes können wir uns Vieles einreden, doch unsere tatsächlichen Erfahrungen liegen tiefer, sie sind in unserem „Könnensgedächtnis“ als „implizite oder prozessuale Erinnerungen“ gespeichert. – Viele Menschen leben mit verhärtetem Nacken, vorgezogenem Kinn und zusammengezogenen Schultern. Diese, auch als „Schreckreaktion“ (startle response) bekannte Schutzhaltung, die auch mit erhöhter Hypervigilanz einher geht, mochte ein mal sinnvoll gewesen sein, als wir noch auf den Bäumen lebten. – Für die Entfaltung unseres Herzkraftfeldes ist sie eher hinderlich.



Die Schreckreaktion oder verkörperte „Paranoia“ stellt das exakte Gegenteil eines offenen Herzens dar. Paradoxerweise erzeugen wir – wenn wir diese Schutzhaltung beibehalten – immer wieder genau jene Lebensumstände, die wir durch diese Haltung zu vermeiden versuchen. Das Gegenüber liest unsere Körpersprache unbewusst wie eine Art „unsichtbare Ikea-Anleitung“ und handelt danach, meist vollkommen unbewusst aber dafür nicht weniger effizient. –



Wie ist das, mit „offenem Herzen“, wirklich innerlich aufrecht durch das Leben zu gehen? Wie ist das, das Christus-Wort: „Ich bin das Licht der Welt“ verkörpert zu erleben, wenn wir in eine schwierige soziale Situation hinein gehen? – Wie wir sehen, geht es bei der „Entfaltung des Herzkraftfeldes“ nicht um eine Theorie. Es geht darum, dass wir unser reales Leben real verwandeln. Vielleicht „meint es das Universum wirklich gut mit uns“?



Werden wir dann auch biologisch jünger, weil der Thymus, – der „Sitz des Gemüts und des Mutes“ – der hinter unserem Brustbein verborgen liegt, wieder aktiviert wird? Werden wir das innere Licht, das uns mit demütigem Stolz und tiefster Daseins-Freude erfüllt, wenn wir wirklich gesehen werden, auch dann „strahlen lassen“, wenn alle Lichter der äußeren Welt erloschen sind? Wenn wir vom Arbeitskollegen kritisiert, vom Autofahrer vor uns oder vom eigenen Partner provoziert werden? Wenn wir „nicht mehr anders können als…“



Dann wissen wir vielleicht, was „stimmt“ und was „nicht stimmt“, was wir wirklich wirklich wollen und was wir, nicht so oder zumindest nicht jetzt wollen. – Haben wir den Mut uns in dieses Abenteuer unserer „Gotteskindschaft“ (Lebenskindschaft) zu stürzen? – „Wenn ich ein geliebtes Kind Gottes bin, dann ist mein Wille Gottes Wille“.



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Zusammenfassung: Wir kommen auf die Welt als vollkommen abhängige und verletzliche Säuglinge. Schon in der Gebährmutter nehmen wir vielfältige Einflüsse aus unserer Umgebung in uns auf. Haben wir in dieser Phase alles bekommen, was wir brauchten? Erik H. Erikson beschreibt den zentralen Konflikt dieser Entwicklungsphase als: „Urvertrauen vs. Urmisstrauen“. Als Säug- und Traglinge erwerben wir die „Propiozeption des Nehmens“. Wir empfinden: „Ich bin, was man mir gibt“. – Wenn diese Zeit ideal verlaufen ist, tragen wir tiefes Vertrauen in das Leben und die Welt in uns, wir fühlen: „Ich kann mich verlassen“. Wurde unser Urvertrauen dagegen verletzt, können ein Grundgefühl des Mangels und der inneren Leere durch unsere gesamte Biographie wie ein roter Faden hindurch ziehen. Glücklicherweise können wir Getragen- und Gehaltensein auch noch nachträglich durch Übung entwickeln. Wenn das gelingt, dann reifen in uns innere Stärke und die Unverwundbarkeit durch das Zeigen unserer Verwundbarkeit.


VOLLTEXT & ÜBUNGEN

 

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