Wie tötet man eine Hydra?

Wie tötet man eine Hydra?

 

 

Während ich diese Zeilen schreibe, stirbt in Madrid alle drei Minuten ein Patient an COVID-19. Glaubt man den Modellen, so stehen wir gerade erst am Anfang einer Pandemie, welche in den nächsten Monaten welteweit sehr viele Menschenleben gekostet haben wird. Für Viele ist das ein Schock. So etwas konnte doch niemand voraussehen! Die Wahrheit ist, es wurde vorhergesehen. Bereits Am 26. Januar schlugen Risiko-Experten Alarm.

 Als 2008 die Finanzmärkte crashten gab es einen Mann, der auf einen Schlag stinkreich wurde. Der Lybische Bürgerkriegsflüchtling Nassim Nikolas Taleb ist nicht nur ein erfolgreicher Börsenbroker und Professor für Statistik in New York. Taleb ist außerdem leidenschaftlicher Flaneur und Essayist. In „Der Schwarze Schwan“ warnte er bereits 2007 vor der realen Möglichkeit einer Pandemie.

 Doch niemand hörte auf ihn. Und weil ohnehin niemand seine Bücher wirklich verstand – auch wenn sie über Monate auf den Bestsellerlisten standen – beschloss Taleb eines Tages, von nun an, nur noch hoch komplexe Artikel für das akademische Fachpublikum zu schreiben.

 Ein „Schwarzer Schwan“ ist ein extrem unwahrscheinliches Ereignis mit enormen Auswirkungen. Die Entdeckung des Penizilins, der Erfolg von Google und 9/11 waren Schwarze Schwäne, weil diese niemand vorhersehen konnte. Schwarze Schwäne haben in der uns bekannten Wirklichkeit keine Vorläufer. Die Corona-Pandemie hatte zahlreiche Vorläufer, es war nur eine Frage der Zeit.

 

Schwarzer Schwan

 

Ein „Schwarzer Schwan“ steht als Metapher für ein höchst unwahrscheinliches Ereignis mit enormen Auswirkungen. Unsere Welt wird von „Schwarzen Schwänen“ geprägt doch wir übersehen dies in der Regel, da wir „Schwarze Schwäne“ mit unserem „Hang zum Erfinden von Geschichten“ ("narrative Verzerrung") rückblickend wegerklären. –

Getrieben vom „Wille zur Macht“ sieht das „gröbere Organ viel scheinbare Gleichheit“ (Nietzsche). So halten wir uns die beängstigende Unkalkulierbarkeit der Wirklichkeit vom Leib, indem wir – genau wie das Virus – immer wieder nur das Vertraute und Bekannte replizieren. Die Corona-Krise war vorhersehbar, ist also ein „Weißer Schwan“.

 

„Denn wer da hat, dem wird gegeben, dass er die Fülle habe; wer aber nicht hat, dem wird auch das genommen, was er hat.“ (Mt 25,29)

 

Eine grundlegende Unterscheidung, welche Taleb in seinem Denken trifft, ist die zwischen „Mediokristan“ und „Extremistan“. In Mediokristan ist alles mehr oder weniger gleich. Der größte und der kleineste Mensch der Welt unterscheiden sich vermutlich um kaum mehr als einen Meter. Die meisten Menschen befinden sich irgendwo in der Mitte zwischen diesen beiden Extremen, das Ergebnis ist – mathematisch ausgedrückt – eine klassische Glockenkurve, Normal- oder Gauss-Verteilung.

 

Glockenkurve

Gaußsche Glockenkurve auf einem deutschen Zehn-Mark-Schein der 1990er Jahre

Anders stehen die Dinge in „Extremistan“. Es ist durchaus möglich, dass ein einzelner Mensch mehr verdient, als eine Millionen Anderer zusammen. Eine Millionen Erst-Autoren verkaufen im Durchschnitt fünfhundert Bücher. Eine Erst-Autorin dagegen verkauft mehr als funfhundert Millionen Bücher. In Extremistan interessieren uns nicht die Durchschnittswerte einer Zufallsverteilung sondern ihre „Tails“, ihre Extremwerte.

Pareto-Verteilung

Anders als bei einer Normalverteilung (Mediokristan) interessieren uns bei einer 80/20 oder Pareto-Verteilung (Extremistan) die „Tails“, also die Enden der Kurve. Man beachte, dass sich dieser Graph in doppelter Hinsicht dem Wert „Unendlich“ annähert. Interessant ist, dass es in in einer solchen Verteilung keine „Deckel“ gibt – das Potenzial ist unbegrenzt. Damit unterscheidet sich das „Heilige Spiel“ (Leben mit „Skin in the Game“) wesentlich von trivialen Gesellschaftsspielen mit vorher festgelegten Regeln und Möglichkeiten.

 Angenommen, deine Großmutter würde zunächst zwölf Stunden lang auf minus achtzig Grad gekühlt und darauf hin zwölf Stunden lang auf einhundert Grad erwärmt. Im Durchschnitt wäre deine Großmutter also einer Temperatur von zwanzig Grad ausgesetzt. – Man kann einhundert mal mit einer Geschwindigkeit von 1 km/h gegen eine Wand fahren und es wird einem dabei nichts passieren. Man kann aber nur ein mal mit einer Geschwindigkeit von 100 km/h gegen eine Wand fahren.

Zehntausend Kieselsteine nacheinander gegen den Kopf geworfen zu bekommen, mag lästig sein. Einen entsprechend großen Felsklotz ein mal gegen den Kopf geworfen zu bekommen, ist in seiner Wirkung fatal. Alles, was im Kontakt mit extremen Ereignissen, also starken Abweichungen vom Mittelwert aus dem Dasein scheidet, ist seiner Definition nach fragil, es „mag“ keine Unordnung.

 

Teetasse

Alles, was auf Unordnung mit Desintegration reagiert ist fragil. Das klassische Beispiel für Fragilität ist die Teetasse. Vor der Erschütterung – der Corona-Krise etc. – enthält die Teetasse realtiv wenig Informationen und relativ viel Bedeutung. Im Zustand der Zersplitterung oder der Unordnung enthält die Teetasse relativ viel Information und relativ wenig Bedeutung. Das Gleiche können wir aktuell in den sozialen Netzwerken beobachten. Relativ viel Sinnloses (Rauschen/Information) mischt sich mit relativ wenig Sinnvollen (Signal/Bedeutung).

Neben fragilen – und robusten –  Systemen gibt es noch eine weitere Kategorie. Alles, was auf Unordnung und extreme Abweichung von der Norm mit Gewinn, Lernen oder Wachstum reagiert ist antifragil. Unser Immunsystem ist antifragil. Ein lebendiges oder komplexes System reagiert auf Stress mit Anpassung und Wachstum, wenn die nötigen Voraussetzungen dafür gegeben sind. Damit ein Muskel – oder etwa eine Beziehung – nach einer Belastung stärker wird als vorher, müssen sie sich von der Anstrengungsphase (Training) wieder erholen können. Schon Paracelsus wusste: "Die Dosis macht das Gift".

 

Hormesis

Wie man an dieser Darstellung sieht, regen moderate Stress-Reize das System dazu an, über sich hinauszuwachsen und auf die Herausforderung mit Stärkung zu reagieren. Man spricht hier von "Überkompensation." Das klassische Beispiel ist Muskeltraining. Ist der Stressreiz zu stark oder das Wiederholungs-Intervall zu kurz, tritt statt des Wachstums-Effektes eine Verletzung oder Traumatisierung ein. Es könnte demnach eine gute Idee sein, unsere Gesundheit in "Friedenszeiten" systematisch zu trainieren (bzw. zu sparen) um im "Ernstsfall" gerüstet zu sein.

Taleb illustriert die drei Kategorien Fragil/Robust/Antifragil mit metaphorischen Bildern aus der griechischen Mhytologie. König Damokles ist fragil, weil über ihm stets das „Damokles-Schwert“ lauert. Er kann Tun und Lassen, was er will, eines Tages schlägt sein Stündchen – auch bekannt als das "Truthahnproblem". Der beliebte „Phönix aus der Asche“ dagegen ist robust. Wirf ihn ins Feuer und er wird wieder auferstehen –  „Unkraut vergeht nicht!“. Antifragil dagegen ist die Hydra. Die Hydra profitiert von Schaden. Schlage ihr einen Kopf ab, es wachsen ihr zwei nach. 

Machen wir uns klar, wer die natürlichen Gewinner von Zufälligkeit sind: Forscher, Künstler und Unternehmer. Jemand sucht ein Medikament gegen hohen Blutdruck und entdeckt dabei Viagra. Jemand repariert eine Satellitenschüssel und entdeckt dabei die kosmische Hintergrundstrahlung. Einer sucht einen Seeweg nach Indien und stößt dabei auf Amerika! – Vielleicht ist es überhaupt gar keine gute Idee, „Gesundheit“ als eine Rückkehr zur „Normaliät“ anzustreben sondern viel mehr als eine Einladung zum Abenteuer, als eine Forschungsreise zu den Quellen der ureigenen Lebenskraft. – Was macht mich denn wirklich lebendig? Was erfüllt mich mit dem Feuer der Begeisterung? Es könnte sein, dass sich beim Verfolgen dieser Spur „Gesundheit“ als eine Nebenwirkung einstellt. –

 

Herkules und Hydra

Gustave Moreau: Herakles und die Lernäische Hydra, 1876

Alles, was exponentiell wächst, stammt aus Extremistan, auch der Krankheitserreger von COVID-19, SARS-COV2.Wie tötet man eine Hydra? Fragen wir Herkules! Man muss ihr den Kopf abschlagen und den Hals sofort mit Feuer ausbrennen. Man darf dem Ungeheuer keine Zeit zum Regenerieren lassen. Das schafft niemand – auch nicht Herkules – alleine. Im Kampf gegen eine Hydra brauchen wir rigorose Entschlossenheit und vor Allem: gnadenlose, nein, übermenschliche Schnelligkeit!

1 Kommentar

Superartikel!
Heisst, es geht nicht darum, die Hydra zu töten, Hydra in dem Fall das Bild für den Virus,, der sich ja auch verändert, sondern zu werden wie die Hydra. Ich hab mir das schon länger gedacht: Warum nicht alles nutzen was da verordnet wird, für eine eigenverantwortliche, höchst kreative Neubestimmung? Also wenn beispielsweise Mastercard seine Leute nur wieder zurück in die Büros holen will mit Chip/ Immunitätstausweis, dann ist es vielleicht an der Zeit, sich eine/n neue/n Beruf/ung zu finden.
Das Leben ist sowieso Risiko. Und dieser ewige Schrei nach Sicherheit und Bequemlichkeit ist sowieso nicht mehr adäquat angeischst dessen, was wir als Mescnhehit gerade innelrich und äußerlich zu wuppen haben, damit unsere Spezies und der Planet weiterleben und andere Spezies vielleicht wieder zurückkommen. Lauter kann ein Hallo wach! gar nicht sein, als diese Erzwungene Transformation. Die ich sehr begrüße.

Übrigens hast du bestimmt entdeckt, dass das afrikanische/ madegassische, offensichtich erfolgreiche Covid Organic auf Artemisia Annua basiert.
Und D forscht daran ja schon lange:
https://www.innovation-strukturwandel.de/de/7535.php
Auch, wenn das wieder das typisch kolonialistische Narrativ ist, das dann nach Afrika verschiffen zu wollen . Brauchen die Afrikaner ja offensichtlich nicht, weil sie es selber haben.

Lauretta Hickman

Hinterlasse einen Kommentar

Bitte beachte, dass Kommentare vor der Veröffentlichung freigegeben werden müssen.