Der Weltfrieden wird in den Schlafzimmern entschieden

Der Weltfrieden wird in den Schlafzimmern entschieden

 

Adaptonics

 

 

Angenommen – rein theoretisch, natürlich – ein Mensch würde Morgens aufwachen und sich fühlen wie ein Zombie. Die Glieder sind schwer und steif, jede Bewegung verursacht Schmerzen. Wenn er aufsteht wird ihm übel und schwindelig, was mehr oder weniger den ganzen Tag über anhalten wird. Er zwingt sich zu Morgensport, einer kalten Dusche und einem Frühstück. Eigentlich war es nur der Gedanke an eine Tasse Kaffee, der ihn überhaupt hat aufstehen lassen.

Er checkt die Nachrichten. Nichts Neues. Außer vielleicht, dass die Welt im Moment noch etwas heftiger am Rad dreht, also sonst. Der Globus steht unter Quarantäne. Alle sind hilflos, suchen Sündenböcke. In Tschernobyl brennt es nahe der Reaktor-Ruinen. Apokalypse. Elon Musk schießt hunderte von Satelliten in den Orbit. Keine Ufos, leider. Trump macht Stimmung gegen Immigranten. In Lybien – wo war das noch mal? –  ist Bürgerkrieg.

Genug Infos am Morgen. Unser – rein hypothetischer – Mensch denkt darüber nach, was er tun will. Schreiben. Psycho-Neuro-Immunologie. Selbstwertgefühl. Angeblich wirkt ein starkes und stabiles Selbstwertgefühl sich positiv auf das Immunsystem aus. Keine Schlechte Idee während einer Pandemie. Was ist das eigentlich – Selbstwertgefühl? 

Münchhausen

„Selbstwert“ ist der Wert, den ein Individuum sich selbst zuschreibt. Irgendwie muss ich an den Baron von Münchhausen denken, der sich an den eigenen Haaren aus dem Sumpf gezogen haben soll. Was mache ich denn, wenn meine Gene mich zu einem Pessimisten prädestinieren und ich dann auch noch in, – wie nennen wir es? –  "prekären" sozialen Umständen aufgewachsen bin? – Wenn ich also nun im „Sumpf“ sitze? – Könnte ich auch „Selbsten-Werten-Fühlen“ (im Rheomodus) denken?

 Wenn mein Selbstwertgefühl davon abhängt, welches Selbstbild ich in mir trage, dann macht mein Leiden vollkommen Sinn. Wenn ich unbewusst davon überzeugt bin, dass der Mensch im Innersten seines Wesens schlecht und sündig ist, dann ist Leiden nur konsequent, denn es bestätigt den tiefen Glauben, den meine Eltern mir eingepflanzt haben. Das ist das eigentlich Virale!

Über Jahrhunderte wurden die Menschen dadurch beherrscht, dass man ihnen tiefe Scham- und Schuldgefühle einimpfte. Als die Macht der Kirche schwandt, trat die Theorie der Psychoanalyse an ihre Stelle. Im Grunde sei der Mensch ein wildes, triebhaftes, asoziales, mörderisches "Es", welches sublimiert und kultiviert, besser gesagt – in der Praxis  so richtig schön gewaltsam zusammengeschlagen werden muss, damit es "gut" sei. Das ist doch real exisitierender Faschismus!

Wilhelm Reich

Wilhelm Reich war zunächst Anhänger Sigmund Freuds, er machte sich jedoch früh unabhängig und ging eigene Wege. Die "Orgiastische Potenz" spielte eine zentrale Rolle in seinem viel zu revolutionärem Denken. Zunächst flüchtete Reich vor den Nazis in die USA. In den Fünfzigerjahren (!) wurden Reichs Bücher dort öffentlich verbrannt, er starb kurz darauf im Gefängnis. Die 68er-Bewegung berief sich auf Reichs Werk "Die sexuelle Revolution". Während der Studentenunruhen in Paris wurden mit Reichs Büchern Polizisten beworfen.

 Wenn Wilhelm Reich Recht hat, dann ist Faschismus nichts Anderes als der Hass auf das Leben oder die „Emotionelle Pest“ des Menschen. Diese seelische Pestilenz besteht darin, dass das aufkeimende Leben dort erstickt werden muss, wo es erscheint, weil es den Pestkranken sonst an seine eigenen unbefriedigten Wünsche, sein im Kern verdorbenes Leben in Angst und Kränkung erinnern würde. Freiheit muss für den Pestkranken mit allen Mitteln verhindert werden! Lust und Lebensfreude zeigen – das wäre doch wirklich egoistisch und geradzu unverschämt! In einer Welt voller Zombies wird das Zeigen von Liebe und positiven Gefühlen zu einem revolutionären Akt!

 

Buddha

Bin ich ein Opfer? Oder bringe ich ein Opfer? Was muss ich tun um dem schier endlosen Leiden, welches das Leben scheinbar bedeutet, einen Sinn zu geben? Entsteht mein Leiden vielleicht erst durch Bewertung? Bin ich dem Leiden also gar nicht hilflos ausgeliefert? Vielleicht hat Buddha Recht, wenn er sagt: 1. Leben ist Leiden, 2. Die Wurzeln allen Leidens ist die Illusion des Selbst, 3. Die Freiheit von Leiden heißt Nirvana und 4. Der Weg zum Nirvana ist die Praxis des Buddhismus.

 Was auch immer „Zack-Bumm-Erleuchtet“ oder „Nirvana“ bedeutet, es hat zu tun mit der Abwesenheit von „Ich“. Wenn ich von mir selbst nichts mehr weiß, bin ich „aufgehoben“. Dann ist auch die Illusion der Zeit aufgehoben. Denn in der Tat, sowohl Zeit als auch das Selbst scheinen keine objektive Wirklichkeit darzustellen, sondern viel mehr das Resultat von gequantelten Bewusstseinsprozessen. So lange das Selbst, welches durch diese Prozesse erzeugt wird, noch nicht genug leidet, ist das auch kein Problem.

Wenn es aber leidet – rein theoretisch natürlich – dann stellt sich die Frage danach, wie – Zack-Bumm (!) – der "Exit" aus dem seelischen "Lockdown" aussieht. Es kann ja nicht sein, dass die Belohnung erst hinterher kommt, das wäre dann doch wieder nur eine Variante des Katholizismus. Wenn ich aufhöre, zu bewerten, ja, wenn „ich“ aufhöre, zu sein – steigt dann mein Selbstwertgefühl? Oder fühlt sich das Leben dann lebendiger an, sodass ich dann hinterher zu dem Schluss komme, dass dieses Leben und damit ich Selbst es Wert bin, gelebt zu werden?

 Vielleicht muss ich einfach so tun, "als ob". Der Pessimist mit dem defektuösen Selbstwertgefühl denkt: „Egal, was ich tue – es bringt nichts“. Und er wird Recht behalten. Das Glas ist wirklich halb leer. Der Self-Made-Optimist mit dem starken und stabilen, durch Eigentätigkeit erworbenen Selbstwertgefühl denkt: „Alles, was ich tue, bringt etwas“. Und auch er wird Recht behalten. Denn das Glas ist ja wirklich halbvoll! Es ist eine Entscheidung, ein Entschluss und dafür braucht es Mut. Ich lebe von heute an so, als ob alles, was ich tue, eine Bedeutung hätte – und dann mal sehen, was das mit mir macht.

 Rein neurologisch betrachtet ist es ja ganz klar, dass der Gewordene mit den gut myelinisierten neuronalen Pfaden, das Gewohnheitstier, welches mit der Geschwindigkeit eines Formel-1-Wagens (300 km/h) operiert, zunächst viel mächtiger ist als der „Mensch im Anfang“, der sagt: „Scheiss drauf!“. – Die Vergangenheit hat mir Jahrzehntelang immer wieder meinen Pessimismus bestätigt. „Wenn man nichts erwartet, tut es auch nicht so weh, wenn man dann auch wirklich nichts bekommt“. – Bis ich gemerkt habe, dass auf diese Weise mein Leben verfault. Also – ab heute – mit der neuronalen Leitgeschwindigkeit eines gemütlichen Spaziergängers oder Flaneurs (3 km/h), tue ich so, "als ob".

Das ist das "Münchhausen-Prinzip". Ein langer Weg mit vielen kleinen Schritten und zahllosen Rückschlägen. Ob es sich gelohnt haben wird? Ob es „das Wert“ gewesen sein wird? Was ist die Alternative? Gehe ich mit Kain – der sagt: „Zur Hölle mit Allem!" – oder gehe ich mit Abel und bringe ein Opfer, das dem „Herrn“, dem Leben oder wem auch immer  dem Universum, dem Spielleiter, dem "Alten Sack mit dem langen Bart" – gefällt? Das wäre der Weg eines Helden. Das wäre eine Medizin gegen die seelische Pestilenz des Menschen, gegen das sich selbst immer wieder sinnlos replizierende Virus der Fremdbestimmung. Das wäre das Ende der Selbstzerstückelung, das wäre ein leidenschaftliches und aufregendes Leben mit Selbstwert, mit Spieltrieb!

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