Artemisia – das Dynamit aus dem Beifuss

Artemisia – das Dynamit aus dem Beifuss

 

Heute geht es um Artemisia annua, der einjährige Beifuss oder chinesische Beifuss. Artemisia annua ist nicht zu verwechseln mit Artemisia vulgaris, welches hierzulande vor Allem als Gewürz bekannt ist. Wenn man Artemisia vulgaris raucht, dann versteht man die Bilder von Van Gogh viel besser. Denn – was die Wenigsten wissen – Artemisia vulgaris hat eine psychedelische Wirkung. Früher stellte man aus Artemisia vulgaris Absinth her, welchen Van Gogh bekanntlich in rauhen Mengen konsumierte und welcher auch die vielen bunten Farben und verzerrten Proportionen auf seinen Bildern verständlicher macht.

Darum geht es heute nicht. Heute geht es um den einjährigen „annua“ Beifuss. Artemisia annua erlangte große Berühmtheit, nachdem 2015 der Nobelpreis für Medizin an seine Entdeckerin Yu Yu Tou verliehen wurde. Genauer gesagt wurde der Preis für das Isolieren von Artemisiniin aus Artemisia annua verliehen. Artemisiniin ist seit 1968 die Substanz Nummer eins auf der Welt, wenn es um die Herstellung vom effektiven Malaria-Medikamenten geht. Inzwischen gibt es auch vereinzelte Studien zur Wirksamkeit von Artesunaten bei Krebs.

Leicht verständlich dargestellt wird der aktuelle Stand der Forschung zu diesen Thema in dem TAZ-Artikel „Dynamit aus dem Beifuss“. Einer der führenden Forscher auf diesem Gebiet, Dr. Efferth, beschreibt darin den angenommenen Wirkmechanismus von Artesunaten. Artesunate sind chemisch betrachtet sogenannte Endoperoxydbrücken. Treffen diese Peroxyde auf Plasmodien oder auch, so die Hypothese, auf Krebszellen, brechen diese Brücken auf und es werden hoch reaktive Sauerstoffverbindungen, sogenannte „Freie Radikale“ frei, welche die Zellen dann „sprengen“. Interessant ist diese „zytostatische“ Eigenschaft besonders deswegen, weil der übrige Organismus keinen Schaden davonzutragen scheint, wie etwa bei einer Chemotherapie.

An der Pflanze Artemisia annua lässt sich besonders gut zeigen, wo wir heute als Menschheit im Bezug auf unser Verständnis von Gesundheit stehen. Einerseits ist da der Konflikt zwischen großen Pharmakonzernen, die gerne ihren teuer patentierten Medikamente verkaufen möchten, und christlichen NGOs in Afrika, welche Artemisia auf Dorfebene anbauen. Andererseits sehen wir hier isolierendes, reduktionistisches Denken am Werk, welches an der Wurzel vieler weiterer Probleme unserer modernen Gesellschaft liegt. Über die Motive der Pharmakonzerne möchte ich nichts sagen. Über das Denken aber, welches dem Isolieren von Substanzen zu Grunde liegt sehr wohl.

Wir denken offenbar: „Wenn ich einen Wirkstoff isoliere, dann wird das Medikament, welches ich daraus herstelle besonders wirksam“. Dieser Enthusiasmus für die isolierte Einzelsubstanz geht zurück auf die Entdeckung des Penezilins. Ja, wir konnten damit viele Krankheiten besiegen. Unterm Strich betrachtet überwiegen aber die Nachteile. Wie sonst ist es möglich, dass wie heute derart aggressiv mutierte Viren vorliegen haben, die weit mehr Menschen das Leben kosten als durch Penizilin gerettet werden? Das Problem der Antibiotika-Resistenz ist nicht trivial.

Worauf basiert dieses kurzsichtige Denken? Man sieht nur den schnellen Effekt, ist aber für die langfristigen Folgen blind, mit verheerenden Auswirkungen. Was würde geschehen, wenn wir statt dessen ganzheitlich zu denken beginnen würden? Es würde bedeuten, dass wir sehen, dass eine einzelne chemische Substanz innerhalb einer Pflanze aus guten Gründen in einen Kontext eingebettet ist. Ein Kontext, den wir respektieren und achten könnten. Wir würden dann sehen, dass man Nichts – aber auch gar Nichts – auf dieser Welt isoliert betrachten kann ohne damit bereits die Umwelt zu verschmutzen. Alles ist miteinander verbunden. Es gibt nur EIN Leben. Ist das so schwer zu verstehen? Was würde aus dieser EIN-Sicht folgen, wenn sie denn eines Tages erfolgte?

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